Leben mit Silber
Diejenigen von Ihnen, die mich und die Silbersuite schon eine Weile „begleiten“, wissen, dass ich ein Faible für schöne, alte Silberrahmen habe. Für mich selbst und immer wieder, falls ich welche bekommen, für die Silbersuite (siehe auch... im festlichen Rahmen). Meine ganz besondere Vorliebe allerdings gilt den englischen Jugendstilrahmen. Sie sind so viel anders, als die, zugegeben auch sehr dekorativen Jugendstilrahmen aus Deutschland oder Wien. So special - so charming! Leider sind sie selten zu bekommen – in Deutschland ohnehin nicht. Ich finde sie vereinzelt auf meinen Reisen in England, manchmal auch in englischen Auktionshäusern. Dann noch teurer als ohnehin schon. Schuld sind die hohen Versandgebühren und seit dem Brexit, der leidige Zoll. Und ich kaufe sie, egal, in welchem Zustand. Dieser lässt, trotz des hohen Kaufpreises, oft sehr zu wünschen übrig: Das Glas ist gesprungen oder fehlt, der Aufsteller ist abgerissen, der Stoff der Rückwände zerschlissen. Ohne Mühe, Zeitaufwand und die Kosten für die entsprechenden Restauratoren, hier die Glaserei, dort der Buchbinder und Silberschmied – könnte ich sie in der Silbersuite nicht anbieten. Ich persönlich jedoch finde, sie sind jeden Aufwand und jeden Cent wert. Da sind die mit Silber verzierten Schildpattrahmen, die ich nur von England kenne oder die Eichenholzrahmen, die mit romantischen Figuren und Szenen aus Silber belegt werden, Stücke, die so ausschließlich in England gemacht wurden. (Hier verkaufte Beispiele aus der Silbersuite.)
Dieses Mal habe ich Ihnen „Blumenrahmen“ mitbringen können. Typische Blumen des Jugendstils - Iris, Mohn, Buschwindröschen – die sich auf interessant gemustertem Untergrund, der im Licht wunderschöne Reflexe erzeugt, plastisch hervorheben und mit Blätterranken oder geschwungenen Bänder verbunden sind. Auch die quadratische Form mancher Rahmen ist typisch für die englischen Jugendstilrahmen, die auch oft mit einer Kartusche versehen sind, für ein Monogramm oder eine persönliche Inschrift. „Meine“ Rahmen haben freie Kartuschen, können also von Ihnen, wenn gewünscht, graviert werden: Passend zum Foto, ein Geburtsdatum, der Hochzeitstag, Ihre Initialen. Die meisten dieser englischen Rahmen, ob nun Jugendstil oder schlichter Art déco, wurden in Manufakturen in Birmingham hergestellt, die sich auf „Small Silverware“ und „Silver Curios“, Kleinsilber und persönliche Silbergegenstände spezialisiert hatten. Von Toilettenaccessoires bis zu Nähutensilien, aber auch Knöpfe, Gürtelschnallen, Handschuhspanner, Ballkartenetuis, Babyrasseln, etc. und natürlich auch prächtige Fotorahmen gehörten zu Ihrem Silbersortiment. Zu den berühmten Firmen zählten Deakin & Francis, ein Traditionsunternehmen, 1884 gegründet und bis 2001 tätig. Arthur & John Zimmerman, von 1889 bis 1940 auf feine Rahmen spezialisiert, sowie die Firmen Levi & Salaman und Adie & Lovekin, die alles was es an „small and curios“ gab, in bester Qualität fertigten. (Siehe dazu auch Kleines & Kurioses im Magazin) Den kleinen, entzückenden Taschen- Parfümflakon mit dem Kleeblattdekor auf Glas und Silber habe ich zwar auch in England erworben, von dort stammt er aber mit Sicherheit nicht. Das Silber hat einen Feingehalt von 925 (geprüft), er trägt aber, wie oft bei sehr kleinen oder filigranen Silberobjekten im Rest von Europa, keine Marken. Die Engländer stempeln alles, ohne Rücksicht auf Kleinheit oder Platzmangel – und immer die ganze, vorgeschriebene Markenreihe. So sind auch die auffallenden Jugendstilknöpfe aus Birmingham 1901und die niedlichen Babyrasseln aus den Jahren 1907 und 1922 mit der vierstelligen Markenreihe punziert. Wer kann, der kann.
Der Jugendstil ist in England als „Modern Style“ bekannt, der erste Art Nouveau Stil weltweit überhaupt, der sich schon Mitte des 19. Jahrhunderts abzeichnete und seinen Ursprung in der Arts and Crafts Bewegung hatte. Trotz unterschiedlicher Bezeichnungen – Stile Liberty in Italien, Art nouveau in Frankreich, Style Sapin in der Schweiz, Tiffany Style in den USA - ist der Jugendstil als ein internationales Phänomen zu sehen, das die gesamte westliche Kunst, das Kunsthandwerk und die Architektur umfasst. Der englische Werkkünstler William Morris gründete bereits 1861 zusammen mit dem Architekten Philip Webb, Kunstkritiker John Ruskin und weiteren Weggefährten ein Unternehmen mit der Idee und den Idealen von einfacher Schönheit, Nützlichkeit, Qualität und Handarbeit, ein Gegenpol zu der immer größer werdenden Industrialisierung, in der sich das Kunsthandwerk nach William Morris „in völliger Entartung“ befand. 1887 gründeten verschiedene Designer, die sich dem Kunst-HANDWERK verschrieben hatten die Arts and Crafs Exihibition Society, mit einer viel beachteten Ausstellung im darauffolgenden Jahr. Auch japanische Stilelemente, die prägenden Einfluss auf die Jugendstilkunst hatten, fanden über Großbritannien durch die großen Ausstellungen japanischer Kunst in London 1854 und 1862 und ein Handelsabkommen mit Japan, Zugang in die europäische Kunst. Ein schönes Beispiel für diesen japanischen Einfluss auf den englischen Modern Style sehen Sie bei den beiden Rahmen – klein und groß – von der ebenfalls auf Rahmen spezialisierten Silberfirma J. Atkin & Son aus den Jahren 1905 und 1906.
Bleibt noch anzumerken: Trotz aller Sorgfalt und Mühe, die Rahmen in einem möglichst perfekten Zustand zu präsentieren, ganz ohne „Fehler“ sind sie nie. Gebrauchsspuren an Silber und Originalstoff, Unebenheiten oder Wellen des Silberbleches in der Umrandung, hie und da ein fehlender Stift. Ich finde, nach über 100 Jahren in Gebrauch darf das sein und für mich – und hoffentlich auch für Sie - erlauben Schönheit, Seltenheit und Charme der Rahmen diese kleinen, liebenswerten "Schwächen", ja ich würde sogar soweit gehen zu sagen: Sie gehören dazu!